Interview mit
SIIRI VALLNER, Architektin
Das Schlüsselinstrument für Renovierungen ist
Kreativität
KAVAKAVA ist ein Architekturbüro in Estland. SIIRI VALLNER zählt zu dessen führenden Köpfen. Ihre Arbeit ist immer standortspezifisch und hebt das Potenzial eines
speziellen Orts hervor. Gleichzeitig ist es ihr Ziel, neue Situationen entstehen zu lassen. Wenn ein altes Gebäude über genügend echtes und authentisches Material verfügt, wandelt sie es in etwas
Neues, Kreatives um. Siiri Vallner erläutert ihren Ansatz für Renovierungsprojekte.
Sie haben kürzlich die Renovierung des neuen Kreativ- und Eventzentrums „Kultuurikatel“ in Tallinn abgeschlossen. Was war die Herausforderung bei diesem speziellen Projekt?
Vallner: Das „Kultuurikatel“ ist ein ehemaliges Elektrizitätswerk zwischen der Altstadt und der Ostsee. Der ehemalige Kraftwerkskomplex wurde nach
und nach erbaut, einige Teile im 19. Jahrhundert, aber das meiste im letzten Jahrhundert. Es war als denkmalgeschütztes Gebäude klassifiziert. Deshalb war es nicht einfach, die Nutzung der Räume
zu ändern.
Wie gehen Sie mit Beschränkungen um, die oft beim Renovieren eines Gebäudes auftauchen?
Kreativ. In diesem Fall war das wichtigste Designwerkzeug das Entfernen von Dingen, um die bestehende Struktur möglichst attraktiv zu enthüllen.
Bedeutet das, dass Sie einen Plan entwickelt haben, die Originalmaterialien und -konstruktionen zu zeigen, statt neue Elemente hinzuzufügen?
Wir – meine Kollegin Indrek Peil und ich – haben nur eine ganz begrenzte Menge an neuen Dingen hinzugefügt. Der Kamin und die Schornsteine, für die wir Ziegel verwendeten, waren schon so ungewöhnlich und eindrucksvoll, dass wir beschlossen, uns an den vorhandenen baulichen Merkmalen zu orientieren. Ursprünglich war
alles aus Ziegeln, da die Temperatur im Inneren sehr hoch war. Folglich verwendeten wir auch für den neuen, zusätzlichen Raum, den Dachaufbau mit Schornsteinen, Ziegel.
Wie würden Sie die Herausforderung der Renovierung eines denkmalgeschützten Gebäudes und der gleichzeitigen Schaffung eines informellen kreativen Raums für moderne Nutzung beschreiben?
Wir verwandelten das Kraftwerk in ein zwangloses Kulturzentrum für Künstler und Musiker. Das Schlüsselkonzept des Raumprojekts ist Offenheit und Sichtbarmachung der Materialien – Ziegel, Stahl und Beton. Das ermöglichte uns die Schaffung eines authentischen Designs mit
äußerst geringen Finanzmitteln. Tatsächlich war das Budget sehr beschränkt. Und das bedeutet, dass jeder Eingriff ganz präzise und punktgenau sein muss. Nach der Renovierung stehen in dem Zentrum jetzt verschiedene Säle und Räume für Aufführungen und Proben zur Verfügung sowie Künstlerateliers, Büros und viel gemeinsam nutzbarer Raum.
Das Entwurfskonzept wurde zusammen mit dem Konzept für das neue Kreativzentrum „Kultuurikatel“ entwickelt.
Welche Projekte sind Ihrer Meinung nach für Renovierungen am besten geeignet?
Alle, bei denen noch genügend echtes und authentisches Material vorhanden ist. Ziegel ist beispielsweise eines der Materialien, das für diese Art von Projekten
bestens geeignet ist – in Form von Kombination aus altem und neuem Material. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es für eine erfolgreiche neue Nutzung unerlässlich ist, Impulse von außen zu
integrieren, Workshops abzuhalten und den Vorschlägen der möglichen neuen Nutzer Gehör zu schenken. Wenn man mit den verschiedenen beteiligten Parteien kommuniziert, kann man neue Inhalte
entwickeln.
Das ästhetische Erscheinungsbild kann sich bei der Renovierung eines Gebäudes völlig verändern, wie bei Ihrem Projekt Raua Sauna. Wie und wann ist diese Idee entstanden? Was war der Grund dafür,
dass Sie das ganze Gebäude mit einer Gitterstruktur aus Ziegeln verkleidet haben?
In diesem Fall war das bestehende Gebäude sehr einfach, nur eine Art Pavillon. Aber es liegt in einem eleganten Stadtviertel, in dem die meisten Gebäude
denkmalgeschützt sind. Wir brauchten also etwas Bescheidenes, das in dem denkmalgeschützten Viertel nicht heraussticht, aber gleichzeitig eindeutig neu und modern wirkt. Natürliches Tageslicht in
den Räumen war auch wichtig, aber natürlich unter Beibehaltung der Privatsphäre. Ein weiterer Aspekt ist: Wir möchten, dass unsere Gebäude schön altern – und
dafür sind Ziegel einfach perfekt. Die älteren Gebäudeteile wurden im ursprünglichen Stil renoviert – einer Mischung aus Jugendstil und Funktionalismus. Das Pavillon-Gebäude zur Straßenseite
haben wir völlig neu gestaltet und in eine Gitterstruktur aus Ziegeln gefasst. Der neue Look wirkt bescheiden, stellt jedoch eine klare Verbindung zu dem denkmal-geschützten Stadtviertel
her.
Was macht Renovierungen so interessant?
Das Entdecken, „Lesen“ und Neugestalten von bestehenden Raumkonzepten. Als wir mit der Planung des „Kultuurikatel“ anfingen, schauten wir uns zuerst die räumlichen
Verbindungen in senkrechter und waagrechter Richtung an. Beispielsweise ist der Keller über den Schornstein zugänglich. Das bringt eine weitere Dimension gegenüber der üblichen, horizontalen
Bewegungsweise im Raum ins Spiel.
Welche Vorteile bringen Renovierungen mit sich?
Wenn man etwas Existierendes verwendet, ist es viel einfacher, andersartige und bedeutungsvolle Orte zu schaffen, als wenn man bei Null anfängt. Andererseits sind
Renovierungen letzten Endes häufig teurer, als wenn man von Grund auf neu baut. Doch Architekten können als Trendsetter neue Methoden und ästhetische Prinzipien einführen, die kostengünstiger
sind.
Der Abdruck dieses Interviews erfolgt
mit freundlicher Genehmigung von
www.architectum.com
Unten: Kultuurikatel (Fotos 1 – 4), Raua Sauna (Fotos 5 –
6) Fotos: Tarvo-Hanno Varres, Tonu Tunnel, Gert Kasak/Statiiv OÜ