Mag. Peter Adam, BDA                                                                                                                              Foto: BDA, Martina Oberer-Kerth

Kulturland Österreich?

Österreich sieht und vermarktet sich gerne als Kulturland, das sein bau-liches Erbe schätzt und erhält.
Dies mag auf einen sehr geringen Anteil an historischen Bauten zutreffen, nämlich auf bedeutende kirchliche und profane Monumentalbauten oder auch Kleindenkmale, wie Bildstöcke – insgesamt einen Bruchteil der Bausubstanz. Es herrscht hier Akzeptanz in Politik und Bevölkerung, da es zum guten Image gehört und – nur wenige betrifft. Bezieht man darüber hinaus auch Wohnbauten, Bürgerhäuser, Bauernhöfe oder gar Ortsensembles und Kulturlandschaften ein, ändert sich dies schlagartig. Hier will man in den nun viele Eigentümer betreffenden Bereichen keine Einschränkungen in der freien Verfügung und der baulichen Erneuerung hinnehmen.
Dabei gäbe es zahllose Gründe, gerade diese oft anonymen Bauten zu schätzen und zu pflegen, da sie in ihrer Quantität viel mehr unsere Kulturlandschaft prägen als die wenigen und singulären Monumentalbauten: Es geht um die Erhaltung unserer geschichtlich gewachsenen und vertrauten Umgebung für kommende Generationen, Sicherung von Arbeitsplätzen, Erhaltung des klassischen Handwerks, Tourismus, Lebensqualität, Materialqualität, Umweltschutz, Ressourcenschonung und um nachhaltige Wertanlagen.
Umso mehr kommt man aus dem Staunen nicht heraus, hält man sich die Entwicklungen der letzten zweieinhalb Jahrzehnte hierzulande vor Augen: Die meiner Generation noch gut vertraute, über Jahrhunderte gewordene und erhaltene „historische Kulturlandschaft“ in der Verbindung von Landschaft und Architektur ist vielerorts innerhalb weniger Jahre nahezu verschwunden.
Das gesamte System im Bauwesen scheint auf Abbruch und Neubau sowie auf totale Normierung ausgerichtet. Über allem prangen die Schlagworte: wirtschaftlich, zeitgemäß und innovativ.
Die Erhaltung von Bestandsbauten wird meist nur mehr als Liebhaberei von konservativen „ewig Gestrigen“ abgetan, als nicht zeitgemäß angesehen und noch dazu als vermeintlich viel zu teuer abgelehnt.
Durch die politisch massiv unterstützte, normierte Industrialisierung im Baugewerbe und die gleichzeitig starke Förderung des Neubaus scheint eine fachgerechte, weil handwerksintensive Erhaltung des Altbaus ohne relevante finanzielle Unterstützung kaum noch konkurrenzfähig zu sein. Der langfristige Mehrwert wird dabei offenbar ignoriert.
Dazu kommen weitreichende Anforderungen an Energieeffizenz, Brandschutz, Barrierefreiheit oder auch angeblich wirtschaftlich notwendige Kubaturen.
Während in den Städten v.a. die Profitsteigerung auf die Bestandsbauten starken Druck ausübt, gibt es im ländlichen Raum noch ganz andere Argumente: Altbauten werden hier oft als Ausdruck einer ehemals rückständig ärmlichen, dörflich bäuerlichen Existenz angesehen, die es nun durch den Abbruch zu tilgen gibt – um nun modern und urban leben zu können.
Der Respekt vor dem baulichen Erbe scheint in Österreich verloren gegangen zu sein, es wird vielmehr als Belastung, als „Altlast“ gesehen. Ein flächendeckender Abbruchautomatismus hat sich ausgebreitet. In den 1980er Jahren war man der Meinung, dass die Zeit der großen Abbrüche vorbei sei – weit gefehlt… nicht einmal in den Welterbegebieten wird heute akzeptiert, dass es grundlegend um die Erhaltung der historischen Substanz geht.
Es ist ein Paradoxon, denn gerade Europa – und Österreich liegt hier in der Mitte – steht in einzigartiger Weise für eine Kulturgeschichte der Architektur; das ist es, was zahllose Menschen hier begeistert und touristisch vielerorts die Lebensgrundlage darstellt. Ein klassisches Beispiel zeigt sich in Italien, wo wir uns in den meist geschlossen erhaltenen Altstädten und historischen Anlagen mit Begeisterung aufhalten und außerordentlich wohl fühlen. Mit größter Selbstverständlichkeit leben dort die Menschen trotz strenger Auflagen mit ihrem baukulturellen Erbe als Teil ihrer Identität und mit großem Stolz und – profitieren letztlich auch wirtschaftlich enorm.
Es ist in Österreich wohl kaum mehr möglich, vor allem im Hinblick auf die bereits vielerorts weitgehend fortgeschrittene Zerstörung, ein rechtzeitiges Rückbesinnen zu erreichen, aber es sei zumindest versucht, auf die Endgültigkeit dieses massiven Verlusts hinzuweisen. Denn hier besteht eine enorme Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen.
In Wahrheit sind historische Bauten – sehr oft mit hohen und höchsten (kunst)handwerklichen Fähigkeiten und qualitätvollen, natürlichen Baustoffen errichtet – ein einzigartiges Kapital mit immenser Nachhaltigkeit und Beständigkeit: Altbauten mit dem ihnen oft zugesprochenen Flair, Charme und Charakter werden immer weniger, deren Bestand ist nicht mehr erweiterbar und deren Verlust endgültig, Neubauten sind hingegen nahezu uneingeschränkt herstellbar. Auch das hohe Maß an Reparaturfähigkeit und die Anpassungsfähigkeit von historischen Bauten stehen im krassen Gegensatz zu den meist äußerst kurzlebig konzipierten, kurzfristig profitorientierten und konfektionierten Neubauten.
Große Teile der Bevölkerung haben offenbar die Sicht auf derartige Qualitäten und den Wert von erlebbarer Kulturgeschichte verloren. Durch den Verzicht auf ästhetische und kulturelle Bewusstseinsbildung hat sich im Bildungssystem ein enormes Defizit zugunsten einer schnellen wirtschaftlichen Orientierung entwickelt. Die  grundlegenden kulturgeschichtlichen Werte in den Vordergrund zu rücken wäre eine dringende gesellschafts- und wirtschaftspolitische Aufgabe.
Letztlich liegt es wohl in den Händen der Politiker, die die entsprechenden Rahmenbedingungen und finanziellen Anreize schaffen müssten, damit dieses Land sich nicht endgültig um seine bauliche Identität bringt.                  

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